Das Konzept des Intermarium, dessen Name aus dem Lateinischen „Zwischenmeer“ stammt, beschreibt eine geopolitische Vision, die vor allem im frühen 20. Jahrhundert in Osteuropa aufkam. Die Idee wurde hauptsächlich von Józef Piłsudski, einem polnischen Staatsmann und Marschall, entwickelt und zielte darauf ab, ein Bündnis aus mittel- und osteuropäischen Staaten zu schaffen. Dieses Bündnis sollte sich zwischen der Ostsee im Norden, der Adria im Süden und dem Schwarzen Meer im Osten erstrecken und als Pufferzone zwischen den beiden Großmächten Deutschland und Russland dienen. In einer Zeit, in der sowohl das Deutsche Reich als auch die Sowjetunion expansiven Ambitionen folgten, erschien Piłsudski die Bildung eines solchen Bundes als eine Möglichkeit, die Unabhängigkeit dieser Staaten zu sichern.
Die Kernidee des Intermarium basierte auf der Vorstellung einer föderalen Allianz, die aus Nationen wie Polen, der Ukraine, Litauen, Estland, Lettland, Finnland, Rumänien, Jugoslawien, Ungarn und möglicherweise auch der Tschechoslowakei bestehen sollte. Dieses Gebiet wäre dann politisch, militärisch und wirtschaftlich miteinander verbunden, um der Bedrohung durch externe Mächte zu widerstehen. Für Piłsudski war diese Idee eine Art Wiederbelebung der polnisch-litauischen Union, die im 16. und 17. Jahrhundert eine ähnliche Rolle spielte.
Trotz seiner ideologischen Anziehungskraft blieb das Intermarium in der Praxis schwer umsetzbar. Zu den größten Hindernissen zählten die unterschiedlichen politischen Interessen und nationalen Bestrebungen der betroffenen Länder. Während einige osteuropäische Staaten Interesse an einer solchen Allianz zeigten, waren andere skeptisch oder standen der Idee gar feindlich gegenüber. Die damalige politische Landschaft, geprägt von Konflikten und Grenzstreitigkeiten, erschwerte die Schaffung eines stabilen Bündnisses.
Ein weiterer entscheidender Faktor, der die Verwirklichung des Intermarium-Konzepts verhinderte, war der Widerstand der großen Mächte. Weder die Sowjetunion noch Deutschland hatten ein Interesse daran, dass sich in Osteuropa eine starke Allianz bildete, die ihre Einflusssphären einschränken könnte. Der Zweite Weltkrieg und die anschließende Aufteilung Europas durch die alliierten Mächte besiegelten endgültig das Schicksal des Intermarium, da viele der betroffenen Länder in den Einflussbereich der Sowjetunion gerieten.
In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Konzept des Intermarium weitgehend in den Hintergrund gedrängt, blieb jedoch in bestimmten politischen Kreisen eine Idee, die von Zeit zu Zeit wieder auftauchte. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion lebte das Interesse an einer engeren Kooperation zwischen den mittel- und osteuropäischen Staaten erneut auf. Organisationen wie die Visegrád-Gruppe oder Initiativen wie die Drei-Meere-Initiative (TSI), die im Jahr 2015 ins Leben gerufen wurde, erinnern in gewisser Weise an die ursprüngliche Idee des Intermarium. Diese Bündnisse verfolgen ähnliche Ziele: die Zusammenarbeit der Staaten zwischen den Meeren zu fördern, insbesondere im Hinblick auf Infrastruktur, Energiepolitik und Sicherheit.
Obwohl das Intermarium nie vollständig verwirklicht wurde, bleibt es ein interessantes Beispiel für die geopolitischen Bestrebungen Osteuropas. Die Idee, dass kleine und mittelgroße Staaten durch Zusammenarbeit ihre Souveränität gegenüber größeren Mächten wahren können, besitzt auch heute noch Aktualität. In einem sich ständig verändernden Europa bleibt die Frage offen, ob das Erbe des Intermarium eines Tages in Form eines ähnlichen Bündnisses wieder aufgegriffen werden könnte.